Ein Gespräch mit Norman Paech
Interview: Oliver Rast
Juan Vrijdag/dpa
Palästina will Israel vor Internationalem Strafgerichtshof in Den Haag verklagen
Norman Paech ist emeritierter Professor für Völkerrecht. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied der Bundestag
Palästina will vor dem Internationalen Strafgerichtshof, IStGH, in Den Haag Israel wegen seiner Kriegsverbrechen in den besetzten Gebieten verklagen. Die Bundesregierung mit Außenminister Heiko Maas, SPD, hat sich erstmals in ein laufendes Verfahren eingeschaltet und interveniert. In welche Richtung?
Als sogenannter Freund des Gerichts (Amicus Curiae) legte die Bundesregierung dem IStGH seine Rechtsauffassung dar, wonach Palästina kein Staat sei und die Voraussetzung nicht erfülle, die Haager Gerichtsbarkeit anzurufen. Damit hat die Bundesrepublik eindeutig Partei für Israel ergriffen. Sie hat sich faktisch von allem verabschiedet, was sie bisher vertreten hat, sie legitimiert jetzt Besatzung, Siedlungsbau und Krieg in den besetzten Gebieten. Das ist eine verlogene Position von Maas und der Bundesregierung, sie haben jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Das Völkerrecht zu verteidigen war für sie nie mehr als ein Lippenbekenntnis.
Wie ist im internationalen Recht eigentlichen ein Staat definiert?
In der »Montevideo-Konvention« von 1933 haben das 20 amerikanische Staaten fixiert. Die Kriterien sind: ein Staatsgebiet, eine ständig ansässige Bevölkerung, eine Regierung und eine Administration, die in der Lage ist, internationale Beziehungen zu führen. Palästina erfüllt diese Kriterien mit ihrer Autonomiebehörde zweifelsohne. Palästina ist von 138 UN-Mitgliedsstaaten weltweit anerkannt worden, hat selbst einen »Beobachterstatus« bei der UN. Allerdings haben die Staaten der NATO Palästina nicht anerkannt, die stellen sich traditionell auf die Seite Israels.
Palästina ist aufgrund der Besatzungspolitik Israels kaum mehr als ein Flickenteppich.
Sicher, aber auch die Grenzen Israels sind ja nicht klar definiert. Niemand würde deshalb bezweifeln, dass Israel ein vollwertiger Staat ist.
Im aktuellen Fall des IStGH geht es nun darum, ob er zuständig ist, um Menschenrechts- und Kriegsverbrechen Israels verhandeln zu können.
Richtig. Palästina wurde 2015 Mitglied des IStGH und hat die sogenannten Römischen Verträge unterzeichnet. Die Aufnahme Palästinas erfolgte unter Verweis auf dessen Status als UN-Beobachterstaat. Als IStGH-Mitglied übertrug Palästina die Untersuchung zu möglichen Kriegsverbrechen durch die israelische Besatzungsmacht auf eigenem Territorium nach Den Haag. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda eröffnete daraufhin Vorermittlungen. Ende 2019 verkündete sie, dass es hinreichende Beweise für eine Anklage gebe, die die israelische Besatzungs- und Kriegspolitik beispielsweise im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg 2014 betreffen. Bensouda ermittelt aber nicht nur gegen mögliche Kriegsverbrechen von Israelis, sondern auch von Palästinensern.
Ist die Chefanklägerin nun zurückgerudert?
Das nicht. Sie hat aber die Frage nach der Zuständigkeit des IStGH in diesem Fall an die Vorverfahrenskammer weitergegeben. Diese Kammer wird die Zulässigkeit einer Anklage prüfen müssen.
Was bezweckt die Bundesregierung mit ihrer Stellungnahme?
Sie unterstützt Israel aktiv in dieser juristischen Kontroverse. Israel lehnt eine Zulässigkeit einer Anklage natürlich barsch ab. Aber auch Brasilien, Ungarn, Österreich und die Tschechische Republik haben sich auf Druck Israels dessen Rechtsauffassung angeschlossen.
Haben diese Stellungnahmen einen direkten Einfluss auf eine mögliche Klageerhebung?
Juristisch haben sie zunächst keinerlei Relevanz. Wir haben es hier aber auch mit einer politischen Frage zu tun. Mit diesen Stellungnahmen soll die Meinungsbildung des Gerichts beeinflusst werden. Ganz klar.
Was bleibt unterdrückten Staaten überhaupt noch, um sich auf internationaler Bühne rechtlich verteidigen zu können?
Es ist kein Zufall, dass bisher kein NATO-Staat beim IStGH verklagt wurde. Es wäre ein Novum, wenn ein altes kolonialisiertes Land eine Kolonialmacht vor das Gericht nach Den Haag bringen könnte. Es wäre ein fatales Signal, wenn Staaten wie Palästina der zivile Klageweg versperrt würde. Das ist letztlich die einzige Möglichkeit, um sich selbst Recht und dem ausgehöhlten Völkerrecht wieder mehr Geltung zu verschaffen.